Sukkot- das Laubhüttenfest- es ist Feiertag und entsprechend ruhig. Ein paar Busse fahren, das ist gut, denn ich will doch heute nach Akko zum Fringe-Theaterfestival. Hochkarätige Gruppen aus Israel und aller Welt treffen sich in der wunderschönen arabischen Altstadt von Akko zu einem spannenden Theateraustausch. Für mich soll es zugleich der Transfer sein in meine Arbeit zuhause und mir den Abschied etwas erleichtern.
Doch der Montagmorgen gehört erst einmal Rita- wie immer, und so soll es auch am Feiertag sein. Auf der Parkbank biete ich ihr eine Handmassage an. Das Kneten und Bewegen ihrer steifen, krummen Finger tut ihr gut, sie entspannt sichtlich und freut sich am Wind, der durch unser Haar streicht und lästige Fliegen verscheucht.
Danach ein wenig Aufräumen in ihrem Zimmer. Es fällt ihr schwer, sich von Dingen zu trennen, ein paar helfende Handgriffe tun not und in kurzer Zeit sind Flächen frei geräumt, Geschirr gespült, Wäscheberge vorsortiert und bereit für den Waschtag. Nicht heute. An Feiertagen werden diese Maschinen hier in aller Regel nicht benutzt.
Ich verabschiede mich von einer zufriedenen, dankbaren und im wahrsten Sinne des Wortes aufgeräumten Rita.
Nach dem Mittagessen will ich los nach Akko, werfe eine Basisausstattung in meine Tasche , laufe zum Bus, der mich zum Zug nach Akko bringt.
Doch nach einer dreiviertel Stunde stehe ich verwundert und frustriert vorm geschlossen Bahnhof. Es ist eben Sukkot-alles ruht, die orthodoxe Regierung macht Ernst mit der Arbeitsruhe. Sogar in Haifa. Ich laufe zum nahegelegenen Strand, kaufe mir eine große Flasche Wasser und frage mich, was ich aus dem angebrochenen Tag machen soll.
Ich schreibe meinem "Schauspielschüler", ob er fährt und mich mitnehmen kann. Warte auf seine Nachricht. Der richtige Frust will sich gar nicht einstellen und das überrascht mich, ist doch mein Zimmer in Akko gebucht und ich habe große Lust auf dieses Festival.
Nach einer Stunde aufs Wasser schauen, wird es ruhig in mir. Mir fällt ein, dass um vier eine kleine Zusammenkunft in unserer Laubhütte vor Speisesaal ist. Sofjas Worte im Ohr: Kommst du, siehst du, was wir machen. Wird sein schejn.
Warum nicht: Viel Zeit haben wir nicht mehr zusammen, ich gehe da hin. Und je näher ich dem Haus komme, um so mehr freue ich mich auf meine Leute. Wird sein schejn.
Ich laufe bei Zwi vorbei, klopfe an seine Tür. Er liegt im Bett. Zwi, komm mit! An meinem Arm läuft er die Treppen hoch, Rita's Fenster ist offen, ich rufe ihren Namen und sie steht sofort am Fenster. Rita, kommst du auch?
Manchmal muss man sie einfach erinnern oder direkt abholen- sie vergessen schnell...
Dann sitzen wir in der Laubhütte, bei Kaffee und Kuchen, es ist wieder Zeit für die Rederunde.
Egmont aus Marokko hat sein Buch vor sich liegen, liest Passagen daraus vor, Chaim ist diskutierfreudig wie immer, ihm wird widersprochen oder nickend zugestimmt.
Ich verstehe nicht viel, aber ich weiß, es geht um Inhalte ihres Festes, um ihr Land, um ihr Leben. In mir steigt ein Gefühl auf, das ich nicht erwartet habe: Zärtlichkeit, Liebe, Abschiedsschmerz..
Und plötzlich weiß ich: hier kann ich auch von mir erzählen. Ich bitte ums Wort, die Vokabeln habe ich: Ich möchte etwas sagen.
Zustimmendes Nicken, und dann spreche ich von meinem Weg hierher, wie sehr ich alle liebgewonnen habe, und dass ich ihre Geschichten mitnehmen werde nach Deutschland. Um von Israel zu erzählen, so wie ich es erlebe in all seiner Vielseitigkeit, Schönheit und auch Zerrissenheit.
Dann finde ich die ersehnte Nachricht im Handy: ich kann mitfahren nach Akko am Abend.
Na also.
Ein schneller Aufstieg zusammen mit Harel auf den Berg- er bringt mich zu meinem Treffpunkt. Es ist mein letzter Aufstieg hoch auf den Karmel-Berg für dieses Mal.
Harel ist ein Adrenalin-junkie, nimmt immer drei Stufen auf einmal, ich halte eine Weile mit, dann muss ich lachend passen und steige einfach Treppen wie jeder normale Mensch.
Oben großartige Aussicht aufs abendliche Haifa und dann:
Ab nach Akko.
So fügt sich alles, wie es sein soll.