Übers Land

Ich fahre mit dem Bus über Land.

Mein Ziel ist Jerusalem, Dalhia hat mich eingeladen, den Shabat in ihrer Familie zu verbringen.

Am Vormittag war ich noch im City Museum von Haifa. Eine etwas dürftige Ausstellung über die Stadtgeschichte, ein paar Fotos an der Wand, der Zeitraum reicht von der Ottomanischen Periode Mitte des  17. Jahrhundert bis in die Zeit nach der Staatsgründung. 

Keine älteren Spuren, die Ausstellung schweigt zu dem Leben der Ahnen.

Ich suche nach Spuren, die meine Fragen beantworten. Wie haben Juden und Araber sich hier die Stadt geteilt, gelernt, sich miteinander zu arrangieren. Wo sind die Brüche, die Verwerfungen. Ein kleines Foto zieht meine Aufmerksamkeit an sich. Araber warten auf einem Platz in Haifa auf ihren Transport ins weiter nördlich gelegene Akko. Frauen hocken auf dem Boden, um sich herum große Bündel mit ihren Habseligkeiten, Männer laden Möbelstücke auf einen Karren. Sieht nicht nach freiwilliger Reise aus. 

Immer wenn ich solche Spuren entdecke, spüre ich, wie schwer es ist, mit jemandem darüber zu sprechen.

Eine kleine Ausstellung in einem Nebenraum zeigt interessante Fotos über jüdische Demonstranten in Paris im Jahr 1978. 

Frieden jetzt! war die Forderung. 

Auf den Plakaten lese ich:

Better a land of peace than a piece of land. Und: compromise is not a dirty word.

Solche Bewegungen braucht dieses Land mehr denn je.

In Tel Aviv gehen gerade zigtausende auf die Straße, um gegen das i Nationalitätsgesetz zu protestieren, das dieses Land als jüdischen Nationalstaat definiert. Unter den Protestanten sind auch viele Juden.

Ich habe im Bus meinen Lieblingsplatz vorn beim Fahrer ergattert, indem ich meine Tasche in großem Schwung auf den Sitz geworfen habe beim Einsteigen. Ich liebe die Rundumsicht. Der Bus fährt über Land. Schokobraune Kühe stehen in der brütenden Hitze. Der Busfahrer knackt Sonnenblumenkerne. Ein Traktor pflügt sich durchs trockene, nackte Feld und lässt eine Staubwolke hinter sich. Ich rolle, lasse den Blick schweifen und die Gedanken fließen. Dazwischen immer wieder komplizierte Chat Nachrichten mit Marwan. Wir finden keinen Modus, uns zu treffen. Immer gibt es irgendetwas, was ein entspanntes Treffen verhindert. 

Rechts von mir endlose Reihen von Gewächshäusern. Bananen schwitzen unter aufgespannten Plastikplanen vor sich hin. Die Menschen hier trotzen dem heißen Land die leckeren Früchte ab. Wenn ich den Wasserhahn aufdrehe, muss ich fast immer daran denken, dass ich in der Wüste bin. 

Der Bus fährt an einer archäologischen Ausgrabungsstätte vorbei. Oben in den Lehmhügel ist die israelische Fahne eingerammt. Was für Zeugnisse mögen die Archäologen hier zutage fördern? 

Der Busfahrer wirft die nächste Handvoll Sonnenblumenkerne in die Schale, die eigentlich fürs Wechselgeld bestimmt ist. Hält er sich so wach? Ich sehe, er ist müde, dennoch vertraue ich mich ihm an, schließe selbst ein wenig die Augen und denke an gestern Abend im Park. Mein Hund hat mich mit einer Frau und ihrem Pitbull bekannt gemacht. Den Namen ihres Hundes weiß ich noch: Pita- ihren Namen  habe ich leider vergessen. Das muss wohl am Hunde- Fokus liegen.

Wir kommen ins Gespräch über meine Arbeit mit den Holocaustüberlebenden. Und da sagt sie, es überrascht mich fast nicht: Such work is a bridge. 

Ich hab Sehnsucht danach, an meinem Stück zu arbeiten.

Links in der Ferne  hinter der Mauer  arabische Städte. Die Moscheen recken ihre Minarette in den Himmel. Im Radio israelische Musik, die nicht verbergen will, aus welchen Wurzeln sie besteht. 

Ein Kommentar aus einem Gespräch mit einer Heimbewohnerin  ist mir noch im Ohr: Glauben die Araber, die könnten das Land so erhalten, wie es jetzt ist? So etwas ähnliches habe ich bereits mehrfach gehört und ich frage mich:

Was meint das?

Dass die Araber unfähig sind, ihre Städte schön zu halten? Wer macht denn hauptsächlich diese Arbeit hier?

Wer baut, repariert Leitungen,  mischt den Zement,  verteilt in der glühenden Hitze auf der Straße den kochenden Asphalt, betoniert, schraubt, streicht, fährt, räumt weg, wischt,  fegt, schleppt? 

Wir nähern uns Jerusalem. Es wird waldiger auf den Hügeln.

Ich wünsche dem Busfahrer, dass seine Schicht in Jerusalem endet. Er kämpft gegen die Müdigkeit an. Sein Seitenwarnsystem piept auffallend oft. Er gähnt und knackt im Akkord Sonnneblumenkerne.

Dann endlich fahren wir ein nach Jerusalem, vertraute Gefühle, ein Lächeln auf meinen Lippen- ich bin wieder da.