Momentaufnahmen

Ein Vormittagsspaziergang im Park mit Rita-  wir haben nach hartnäckigem Suchen eine Bank im Schatten gefunden. Unser Blick streift weit über das Meer, vor uns downtown der Hafen. Ein frisches Lüftchen weht, für hier um diese Zeit absolute Ausnahme.  Ich entspanne mich, genieße das Gespräch mit Rita. Vielleicht sind es die weißen Wölkchen im sonst blauen Himmel über dem weiten Meer- vielleicht einfach unsere Nähe auf dieser Parkbank... Wir reden über das Leben nach dem Tod, dass dieses Leben weitergeht,  und wie diese Vorstellung in den verschiedenen Religionen eingebettet ist. Denn es ist und bleibt eine Vorstellung, eine Idee, ein Glaube- und das wenige, was wir von der anderen Seite wissen, sind Bilder, Träume, Fragmentarisches. Ich spreche mit einer Frau, die den Holocaust als Kind überlebt hat, über den ganz alltäglichen und , wie soll ich sagen, beinahe normalen Umgang mit dem Tod und dem Sterben. Wir finden uns in dem gleichen Gedanken, dass wir beide keine Angst mehr vor dem Sterben haben. Rita voller Gelassenheit und Klarheit: "our life here wouldnt make any sense, why we should  be here, in all that misery and mess, if not to come back, in another human body, of course, to correct something what we didn't do right or didn't finish?" - "Unser Leben hier würde absolut keinen Sinn machen. warum sollten wir hier sein, in all diesem Leid, diesem Chaos, wenn nicht, um zurück zu kommen und Dinge zu korrigieren, die uns nicht gelungen sind, oder die wir noch nicht vollendet haben?" 

Und unmerklich bin ich diejenige, die erzählt, von Geschichten  über Nahtoderfahrungen, die ich gelesen oder gehört habe - Rita hört mir aufmerksam zu, fragt nach...

Ich erzähle von meinen vier Monaten im Hospiz in Jerusalem, von dem Moment, als mein Papa starb....

zu Hause auf meinem Bett liegt das Buch, welches sie mir gestern geschenkt hat. Rita hat mit ihren Eltern und Geschwistern 19 Monate in einem Loch unter der Erde überlebt. Einem Loch, Gegraben von ihrem  Vater, in einem Wald in Polen, nachdem alle jüdischen Bewohner, Nachbarn, Freunde, Verwandte in der Umgebung von den Nazis massakriert wurden. In ihrem Buch lese ich, dass sie diese Zeit nahezu vollständig liegend verbracht hat, inmitten von Würmern, Käfern, Erde, Dunkelheit, fast ausschließlich liegend.

Sie führt mich auf dem Rückweg zu einem Obsthändler- die Pfirsiche hier sind so lecker, Rita kauft kiloweise Obst ein.

Wir verabreden uns zu einem Ausflug an den Strand nächsten Montag.  Zu Hause angekommen, helfe ich ihr noch beim Geschirrspülen. Morgen fahre ich mit ihr in einen Stadtteil von Haifa, wo wir zusammen zum Optiker gehen. Wo wir Eis essen oder Kaffee trinken.

Am Nachmittag laufe ich aufgeregt zu meiner ersten Theater-stunde: Ob überhaupt jemand kommt? Und in welcher Sprache werden wir kommunizieren?

Ich hatte mich vorbereitet, aber nichts von dem, was auf meinem Zettel stand, haben wir gemacht. Diese erste Theatergruppenstunde war eine spontane Runde, von Anfang bis Ende- nicht immer leicht zu meistern, aber es gab viele Momente, in denen tatsächlich "Spiel"- "Verwandlung"- "Imagination"  stattfand.   Meine Versuche, in dem Sprachengewirr mich verständlich zu machen, werden immer liebevoll unterstützt durch Menschen, die mir mit ihrem Jiddisch entgegenkommen. Ich rede französisch, russisch, englisch, deutsch (wenn es gar nicht anders geht) , aber oft schon mache ich mich mit  hebräisch. verständlich.

Ich bin  in meinem Element, hab meine Möglichkeit, zu Spielen mit hergebracht. Wie schön.

Beim Vorbereiten und der Entscheidung für die einzelnen Spielangebote habe ich mich immer wieder gefragt: welche Übung geht mit diesen Menschen, welche Spielorte oder Bilder stoßen bei ihnen Schmerzhaftes an? Wie präsent ist die Erinnerung? Zum Beispiel mein: "Der- gefräßige Dämon"- Spiel trau ich mich nicht, das Waten durch Untergründe, wo die Füße drin stecken bleiben- in der Arbeit mit Kindern ist eine solche Wanderung durch matschigen Untergrund, durch Fluss und klebrigen Schleim ein Affenspaß, aber hier ...nein. wahrscheinlich. jedenfalls nicht jetzt. - Ich versuche es mit Märchen, Archetypen, Farben, Musik, Humorigem- da gehen sie gerne mit. Farben möchte ich kaufen, ich würde gerne Malen in der Gruppe.

Spät am Abend ein langer langer Strandspaziergang im Dunkeln, die Luft weht mir vom Meer entgegen wie ein warmer Föhn, das Wasser- eine Badewanne. Viele Familien und Paare sind um diese späte Uhrzeit noch unterwegs. Der Tag ist einfach zu heiß, also wird das Leben einfach in die Nacht  verlegt. Ich frage mich, wie das im Schulalltag funtioniert. Von unten dann den Berg hoch- Haifa ist eine Stadt am Karmelberg- Ich komme kurz vor Mitternacht am Park vorbei und ja, mein Vermieter Harel ist da , mit Hund und Freunden. Die slackline ist bereits gespannt und so kann ich meine müden Füße noch ein wenig ausstrecken beim Balancieren.

 

 

 

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